Eine Reise ins Herzen Europas

Nach Paris, Den Haag und Rumänien führte mich meine inzwischen vierte Reise im Rahmen meiner Bundesratspräsidentschaft in der vergangenen Woche nach Belgien.

Ob des dichten Programms erfolgte meine Anreise noch am sehr späten Dienstagabend, was uns aber nicht davon abhielt, gleich am Mittwochmorgen das Jüdische Museum von Belgien in Brüssel zu besuchen. Gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (,die auch in Belgien tiefe Wunden geschlagen hat), aber auch mit Blick auf einen wieder erstarkenden Antisemitismus in Europa, war es mir ein hohes Anliegen hier meine Reise zu beginnen. Nur, wenn wir Hand in Hand mit Betroffenen von antisemitischer Hetze und Gewalt, beispielsweise durch die EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens, diesem Ungeist entgegentreten, werden wir unserer Verantwortung gerecht.

Nachdem seit vielen Jahren kein Bundesratspräsident mehr die EU-Vertretungen besuchte, war es mir angesichts der aktuellen Situation ebenfalls wichtig, mit den Akteuren in Brüssel über die internationale politische Lage und ihre Folgen für Europa, Deutschland, aber auch Thüringen ins Gespräch zu kommen. Besondere Aktualität hat mein Besuch durch den nur einen Tag später stattfindenden EU-Gipfel erhalten, bei dem sich alle EU-Mitgliedsstaaten einstimmig für den EU-Kandidatenstatus für die Ukraine und die Republik Moldau ausgesprochen haben.

Bei all den Gespräch – egal ob mit der Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, dem Kommisar für Beschäftigung und soziale Rechte der Europäischen Union, Nicolas Schmit, oder dem Präsidenten beim Ausschuss der Regionen (AdR), Apostolos Tzitzikostas – war der Ukrainekrieg mit all seinen politischen, wirtschaftlichen und humanitären Herausforderungen allgegenwärtig. Und all diese Gespräche haben mich in meiner Haltung bestärkt, dass in diesen Zeiten alle Mitgliedsstaaten der EU noch stärker für ein freies und friedliches Europa entschlossen zusammenstehen müssen, um gemeinsam dem Angriffskrieg von Putin deutlich entgegenzutreten. Die Folgen dieses Krieges werden für uns alle noch lange zu spüren sein. Neben den unmittelbaren Auswirkungen habe ich bei meinen Gesprächen aber auch auf die mit dem Krieg einhergehenden steigenden Energiekosten und die ganz konkreten Auswirkungen auf die Glasindustrie in Thüringen und Bayern aufmerksam gemacht. Ich wollte die Vertreter der EU dafür sensibilisieren, dass wir gerade jetzt schnell finanziell untersetzte Förderprogramme auf Ebene der EU benötigen, um dauerhaft unabhängig von der Gasversorgung produzieren zu können und der Energieerpressung Putins zu entkommen. Bisher schien diese Thematik nur vereinzelt wahrgenommen zu werden, daher war es mir besonders wichtig mit der Dekarbonisierung eine echte Alternative aufzuzeigen, die jedoch zur Realisierung die Unterstützung der EU benötigt.

Den Höhepunkt meiner Reise nach Brüssel bildete die Privataudienz bei S.M. König Philippe in Schloss Laeken. In einer fast freundschaftlichen Art und Weise haben wir uns über die aktuellen politischen Herausforderungen ausgetauscht. Wir haben aber auch intensiv über seinen Besuch 2019 in Thüringen, speziell in der NS-Gedenkstätte Buchenwald und den Austausch mit Volkhard Knigge, gesprochen. Es war für mich unfassbar berührend, dass dieser Besuch nicht nur bei mir, sondern auch bei König Philippe und seiner Frau tiefe Spuren hinterlassen hat und ihm noch immer sehr gut im Gedächtnis ist. Und natürlich berichtete ich König Philippe auch von den Fortschritten bei der Sanierung von Schloss Friedenstein, das Schloss auch seiner Vorfahren.

Nach einem spannenden Tag in Brüssel gab es am zweiten Tag meiner Reise ein Wiedersehen mit Oliver Paasch, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Region Belgiens, in Eupen. Oliver Paasch begleitete die Delegation um König Philippe bereits im Jahr 2019 nach Thüringen und im Herbst vergangenen Jahres konnten wir uns bei einer Belgischen Delegationsreise in den Bundesrat ein weiteres Mal treffen. Kurz nach diesem Treffen erhielt ich von ihm eine Einladung nach Eupen, der ich nun nur zu gern gefolgt bin. Und was Ostbelgien – gerade mal so groß wie ein Kreis in Thüringen – zu bieten hat, ist wahrlich beeindruckend. Mit einer jungen und durchaus erfrischenden Regierung hat Oliver Paasch viele kleine und große Projekte und Ideen auf den Weg gebracht, von denen wir viel lernen können. Was das ganz konkret heißt, konnte ich mir in der Gemeindeschule in Raeren anschauen, in der sich Kindergarten und Grundschule unter einem Dach befinden und die erst vor kurzer Zeit aus drei Schulen zusammengeschlossen wurden. Ein weiteres beeindruckendes Beispiel, was mit Mut und Ehrgeiz entstehen kann. Ich bin für diesen intensiven Austausch mit Herrn Paasch sehr dankbar. Er zeigt, dass es bei diesen Treffen nicht nur darum geht, seinem gegenüber die Stärken der eigenen Region zu verdeutlichen, sondern insbesondere voneinander zu lernen.

Und ein Wiedersehen ganz besonderer Art konnte ich dann auch noch feiern: beim Mittagessen mit Ministerpräsident Paasch konnte ich seinen Amtsvorgänger Karl-Heinz Lambertz begrüßen, den ich in den vergangenen Jahren bereits immer wieder treffen konnte. Lambertz ist nicht nur ein intimer Kenner und Beobachter Ostdeutschlands, sondern auch ein Denker ganz eigenen Formats. Erst im vergangenen Jahr hat er im Grenzlandmuseum Teistungen im Eichsfeld einen wunderbaren Vortrag über das Thema „Grenzen“ aus der Sicht eines deutschsprachigen Belgiers gehalten. Sein starkes Plädoyer für den Abbau von Trennendem durch die Implementierung weitreichender Freiheitsrechte und einen umfassenden Minderheitenschutz ist in diesen Tagen, vor allem wenn wir uns den gegenwärtigen Zustand Europas anschauen, aktueller denn je.

Wenn Thüringen das Herz Deutschlands ist, dann ist Belgien das Herz Europas. Es tut gut, in den heutigen Zeiten diese Verbindungen unter Freunden, die einander tragen, weiter auszubauen.