Mediale Phänomene der digitalen Zeit

Als Kind habe ich von meiner Großmutter oft den Satz gehört: „Das tut man nicht“. Ich bekam ihn meistens dann zu hören, wenn es um gute Umgangsformen und ein respektvolles Miteinander ging. Eine andere ihrer Weisen lautete: „Was du willst, was man dir nicht tu, das füge auch keinem anderen zu“. Ich erinnere mich außerdem an eine Aufschrift gegenüber von unserem Wohnhaus am Giebel des Nachbarhauses: „Allen Menschen Recht getan ist eine Kunst, die niemand kann“. All diese Lebensweisheiten haben mich mein ganzes Leben lang begleitet. Nicht minder einprägsam war eine liebevoll gemeinte Zurechtweisung ganz praktischer Natur: „Wenn du Wut hast, schreib‘ sie dir von der Seele und schlafe eine Nacht darüber. Denk am nächsten Tag darüber nach, ob die Botschaft immer noch Gültigkeit für sich beanspruchen kann oder ob du nur einmal Wut, Zorn und Impulsivität loswerden musstest.“ All diese kleinen kontemplativen und ganz praktischen Unterweisungen können meiner Meinung nach zusammengenommen zu einem zivilisierten Debattenklima beitragen – im Privaten wie im Öffentlichen.

Im Zeitalter der digitalen Kommunikation, als der Zeit, in der wir Menschen der Gegenwart leben, sind viele dieser Verhaltenshinweise für manch einen nicht mehr zeitgemäß. Als in meinem Büro vor 30 Jahren der erste PC auftauchte, der über ein Modem jedenfalls einige Male am Tag mit anderen PC’s kommunizierte, kam eine Unart auf, die da lautete: „Antwort an Alle.“ Die Fähigkeit, auf Nachrichten via E-Mail sofort und unmittelbar reagieren zu können, war vor 30 Jahren tatsächlich etwas bahnbrechend Neues. Durch diese neue Form der Kommunikation konnte nicht nur jeder zu allem alles sofort und ungefiltert sagen, sondern auch die Schärfe so mancher Debatte nahm erheblich zu. Emotionen begannen auf eine völlig neue Art zu kochen.

Das anhebende Handyzeitalter beschleunigte diese Entwicklung abermals. Heute ist man dauerhaft online mit der ganzen Welt verbunden. Über diverse Social-Media-Kanäle kann man Nachrichten verbreiten, Darstellungen in die Welt setzen, kommunizieren oder auch Hass, Unwahrheiten und Hetze verbreiten. Zwischen Mordaufrufen, Beleidigungen, Lügen, Mythen und Märchen kann ich mir täglich aussuchen, was bei mir im Zweifelsfall so alles durch den Spam-Ordner eingetrudelt ist. Manches lösche ich sofort, anderes archiviere ich, wieder anderes gebe ich an die Polizei und bei einigen Unsinnigkeiten trolle ich auch zurück.

Die berühmte Nacht, die man erst einmal über seine Wut schlafen sollte, fällt aus. Ganz im Gegenteil: in der Nacht entstehen häufig die schlimmsten Ergüsse, für die sich hoffentlich der eine oder andere beim nochmaligen Grübeln eher schämt oder sich – wie in dem einen oder anderen Fall – später vor einem Gericht rechtfertigen muss.

Die Corona-Pandemie hat für all diese Probleme wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Die Gesellschaft teilte sich plötzlich auf in diejenigen, die ein immer deutlicheres Durchgreifen der Regierung forderten und diejenigen, die schon in Zweifel zogen, dass es eine Pandemie überhaupt gäbe.

Der diesjährige Thüringen-Monitor lässt einige sehr interessante Rückschlüsse zu diesen Entwicklungen zu. So ist die Zufriedenheit mit politischen Entscheidungen sogar gestiegen und ein gewisser Stabilitätswert erreicht worden, der sich zeitlich spannender- aber auch erwartbarerweise mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine deckt, dessen Auswirkungen gerade auf die Energieversorgung der Bundesrepublik für massive Verunsicherung bei den Bürgerinnen und Bürgern gesorgt hat. Diese Angst hat bestimmte Effekte gezeitigt, die sich ebenfalls im Thüringen-Monitor nachvollziehen lassen.

Vor diesem Hintergrund müssen wir uns als Gesellschaft auch ganz grundsätzlich die Frage nach den Folgen einer bestimmten Art und Weise der Kommunikation stellen, die sehr häufig auf ein Negativ-Wording abzielt bzw. dazu tendiert – wenn auch nur in bestimmten Kontexten – Mythen und Märchen in den Diskurs einzuspeisen. Ein gut funktionierendes Mediensystem beispielsweise basiert darauf, eingehende Nachrichten und Informationen kritisch zu prüfen, einzuordnen und zu bewerten. Was aber passiert, wenn Medienschaffende unter denselben veränderten Bedingungen einer immer schnelllebigeren Kommunikationsgesellschaft arbeiten müssen, gleichzeitig ökonomisch unter Druck stehen (Printmedien) und gar nicht mehr die Zeit haben, Informationen noch einmal ausreichend gründlich zu überprüfen?

Ich habe in diesem Zusammenhang aktuell einige recht interessante persönliche Erfahrungen machen müssen. So sagte ich beispielsweise unlängst in einem Interview, dass ich mir wünsche, dass junge Menschen, die als unbegleitete Jugendliche 2015/2016 nach Deutschland gekommen sind und hier ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen bzw. Berufsangebote erhalten haben, ihren einstmals gestellten Asylantrag zurücknehmen dürfen und nicht automatisch damit eine Aufenthaltssperre bekommen. Der § 10 Abs. 1 und 3 des Deutschen Aufenthaltsgesetzes regelt jedoch, dass ein Asylantrag, der zurückgenommen wird, zu einer solchen Sperre führt –  lediglich mit der Ausnahme, dass eine solche Person einen deutschen Staatsbürger oder eine deutsche Staatsbürgerin heiraten möchte, was die Sperre verhindern könnte. Mein Vorschlag war deshalb, das Aufenthaltsrecht in § 10 um eine Passage zu ergänzen, dass solche Personen berechtigt sind, ihren Asylantrag zurückzunehmen und damit die Einleitung eines Arbeitsmigrationsverfahrens verbunden sein kann. Das hieße, dass der deutsche Staat es bestimmten Personen, die einmal einen Asylantrag gestellt haben, ermöglicht, diesen Antrag zurückzunehmen und quasi zu tauschen gegen die Möglichkeit der Arbeitsmigration, die wir ihnen einräumen würden, wenn wir sie ansonsten vorher in ihr Heimatland abschieben würden, um sie dann dort den Antrag auf Arbeitsmigration bei einer deutschen Botschaft stellen zu lassen. Genau dieses Verfahren wurde im Fall Kosovo eingeführt. Am Beispiel des Kosovo konnte man auf einmal feststellen, dass Kurzzeit-Asylanträge nicht mehr gestellt wurden.

Dafür haben Arbeitgeber aus dem  Freistaat Thüringen drei Anwerbebüros im Kosovo eröffnet, um damit Arbeitsmigranten die Möglichkeit zu geben, in Thüringen zu arbeiten.

Ich persönlich habe mich an einigen Verfahren dieser Arbeitsermöglichung beteiligt und weiß, dass wir erfolgreich auf diesem Weg Bürger nach Thüringen holen konnten, die heute ganz normal arbeiten gehen. Der Journalist, mit dem ich darüber sprach, verkürzte allerdings in der Überschrift den Vorschlag von mir auf die Schlagzeile: „Ramelow schlägt pauschale Anerkennung von Asylverfahren vor“. Im gesamten journalistischen Text und den autorisierten Zitaten von mir findet sich keinerlei Hinweis auf einen solchen Vorschlag. Mein Vorschlag war ausdrücklich keine pauschale Anerkennung von Asylverfahren und damit auch keine pauschale Anerkennung von Asylbewerbern.

Aktuell führen die rechtlichen Regelungen dazu, dass wir Menschen als Ausreiseverpflichtete auf unseren Listen haben, ohne sie überhaupt ausreisen lassen zu können, da – wie im Fall der Maghreb-Staaten-  eine Rückaufnahme durch diese Staaten abgelehnt wird – ein Dilemma.

Der Ausgang aus der Asylfalle, darf nicht direkt in die Aufenthaltsverbotsfalle führen, sondern muß in Lohn und Brot führen, also in geregelte Arbeit.
Unabhängig davon, wieviele der von mir benannten 9.500 junge Menschen in Thüringen in diesem Dilemma stecken, bleibt doch die Tatsache, dass diese jungen Leute seit Jahren in Thüringen leben, die Schule besucht haben, Kurse gemacht haben, Ausbildungsberufe anstreben usw. Warum sollte man nicht genau dieser Gruppe junger Menschen, die als sogenannte UMAs (unbegleitete Jugendliche) kamen, bei uns gut betreut wurden, aufgewachsen sind, zwischenzeitlich volljährig wurden, warum sollten wir ihnen nicht durch einen Pragmatischen Akt, eine dauerhafte Arbeit gegen ihren unsicheren Status tauschen lassen? Wir bekämen motivierte junge Menschen in den Arbeitsmarkt und würden genau soviele unsinnige Asylverfahren bzw. Kettenduldungen verlieren – pragmatisch und enorm entbürokratisierend.

Die Reaktionen auf meinen Vorschlag waren bundesweit bemerkenswert. Die politischen Mitbewerber fielen über mich her, ich wolle einen Pull-Effekt auslösen und damit die ganze Welt einladen, nach Deutschland zu kommen. Wie man das aus meinem Vorschlag ableiten kann, weiß ich einfach nicht, aber das gehört einfach zum politischen Theater-Donner.

Mein verdutzter Hinweis in einer sofort einberufenen Pressekonferenz, dass ich doch für konkrete Menschen in Thüringen einen Vorschlag gemacht habe, der nichts mit einer pauschalen Anerkennung zu tun habe, führte bei den anwesenden Medien dazu, dass schon so falsch wiedergegebene Informationen dann (sinngemäß) umgewandelt wurden in: „Ramelow präzisiert seinen Vorschlag. Nachdem er die pauschale Anerkennung vorgeschlagen hatte, ergänzt er jetzt, dass man den Asylantrag zurücknehmen könne, wenn man dafür Arbeitsmigration einleiten würde.“ Auch meine Rückfrage bei einzelnen Journalisten, ob sie mir an einer einzigen Stelle belegen könnten, wo ich den Vorschlag autorisiert von mir mit einem pauschalen Anerkenntnis für Asylverfahren unterbreitet hätte, führte zu keiner Veränderung.

Heute lese ich nach wie vor täglich, ich habe den Vorschlag auf pauschale Asylanerkennung gemacht, meistens meist verknüpft mit einer großen Verurteilung meines vermeintlichen Vorschlages. Besonders interessant fand ich die Einlassung, dass man so nicht vorgehen könne, da diese Menschen ja dann auch Wohnraum bräuchten. Wenn ich darauf antworte, dass diese Menschen doch schon längst hier wohnten, führt das leider auch zu keiner besseren Kommunikation. Durch die Praxis der kommentierenden Überschrift sind wir gesamtmedial völlig abgekommen von meinem eigentlichen Vorschlag und trotzdem muss ich jeden Tag mit der Frage umgehen, wie schaffen wir es, dass diese 9.500 jungen Menschen nicht länger als Belastung empfunden werden, sondern Teil einer gelingenden Integration sein können. Die Belastung wird gefühlt allgemein in der Gesellschaft so formuliert, aber konkret ist es eine Belastung für die betroffenen jungen Menschen selbst. Sie wissen, was sie wollen und deshalb gilt hier der Satz eines sächsischen Handwerkers von 2015: „Mir ist egal, woher du kommst, aber nicht wohin du willst“.

Ein zweiter seltsamer Vorgang der letzten Tage verdeutlicht ein ähnliches Dilemma. In einer Thüringer Zeitung lese ich, ein Brandbrief von Thüringer Ausländerämtern hätte bestimmte Missstände aufgezeigt und sei an das Thüringer Justizministerium als zuständiges Ministerium adressiert. Zwei Tage später höre ich das gleiche noch einmal sehr umfassend im Radio. Immer wieder mit dem Hinweis: „Unserer Redaktion liegt dieser Brandbrief vor.“

Als verantwortlicher Ministerpräsident wollte ich nun wissen, wo dieser Brief sei, wer ihn geschrieben habe, mit wem wir also kommunizieren könnten und welche inhaltlichen Punkte er anführt. Zehn Tage lang bemühe ich mich, in den Ministerien und auch mit der zuständigen Ministerin, herauszufinden, ob irgendjemand in der Landesregierung diesen Brief kenne. Da er ja nun hinlänglich in den Medien vorgestellt wurde, habe ich mir schließlich erlaubt, mir über andere Kanäle einen Zugang zu der möglichen Quelle zu verschaffen. Schließlich hielt ich ein Schreiben in der Hand, der mit „Brandbrief“ überschrieben war –  unterschrieben lediglich mit einer Schlusszeile, die da lautet: „Die Ausländerämter Erfurt, Weimar und weitere.“

Kein Name, kein Absender, keine Adresse, niemand als Ansprechpartner und keiner, mit dem man kommunizieren könnte. Einen Teil der dort aufgeführten Forderungen kann ich gut nachvollziehen. Da heißt es, die Ämter seien personell zu gering ausgestattet und ich glaube, angesichts tatsächlicher Wartezeiten von bis zu einem Jahr bis Terminvergabe deutet dies darauf hin, dass diese Ämter offenkundig zu wenig Personal haben. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, dass ein Teil von Beschwerden über Ausländerämter im Bürgerbüro der Thüringer Staatskanzlei landet. Überdies fordern die Schriftgeber ein ausländerrechtliches Zentralamt, was ich sehr begrüße. Ich würde mich freuen, mit den Autoren genau über solche Fragen ins Gespräch kommen zu können. Letztlich wird aber der Eindruck erweckt, als ob die in der Unterzeile genannten Ämter gemeinsam festgestellt hätten, dass sie vom Thüringer Justizministerium falsche Anweisungen bekommen hätten und dass sie zu Unrecht Aufenthaltsanerkennungen erteilen sollten, selbst wenn falsche Identitäten einem Verfahren zugrunde liegen würden. Daran habe ich auch eine Erinnerung. Als in Saalfeld 2015 ein Zug mit Geflüchteten aus Budapest ankam und völlig überforderte Bundesbedienstete versuchten, einer unendlichen Anzahl von Menschen in einem sehr aufwändigen Verfahren die Fingerabdrücke abzunehmen, die Namen zu erfassen, aber eben keinerlei Papiere kontrollieren zu können, weil die Zeit einfach nicht gereicht hat. Die Busfahrer aus Sachsen machten an diesem Abend schon sehr früh deutlich, dass ihre Lenkzeit alsbald abgelaufen sei und sie dann gar nicht mehr fahren dürften. Deshalb wurde irgendwann das gesamte Verfahren abgebrochen und ich möchte nicht wissen, in wie vielen Fällen Identitäten notiert wurden, die lautmalerisch in die Geräte getippt wurden, ohne dass die befragten Personen prüfen konnten, ob das wirklich ihre Identitäten sind.

Es ist nur eine von möglichen Erklärungen, wie es zu solchen Differenzen bei Identitäten kommen kann. Klar ist aber, dass mir mehrfach auch Schriftsätze bekannt wurden, in denen falsch geschriebene Namen zu heftigen Auseinandersetzungen mit verschiedenen Ämtern geführt haben, und so kann es sein, dass solche Konflikte nicht unbedingt auf vorsätzlicher Täuschung oder gar einer strafrechtlich relevanten Vertuschung basieren, sondern möglicherweise auch schlicht einfachere Erklärungen haben, die sich im Verfahren aufklären.

Richtig ist aber auch, dass jetzt mit dem Chancen- Aufenthalts-Recht Möglichkeiten gegeben werden sollen, um Menschen, die lange genug im Land sind, anzubieten, am Arbeitsleben teilzunehmen. Hier schließt sich auch der Kreis zu meinen Ausführungen zuvor. Man kann beklagen, dass so viele Asylanträge in der Pipeline liegen oder so viele Menschen in Deutschland ausreiseverpflichtet sind, aber nicht ausreisen können. Man könnte aber auch zur Kenntnis nehmen, wie viele Asylanträge wir komplett als Vorgang abschließen könnten, wenn schlicht zum Beispiel die 9.500 ehemaligen UMA’s ihre Anträge zurücknehmen würden. Und wenn es nur 9.000 täten, wären es schon 9.000 Verfahren weniger und die Ausländerämter könnten sich um die verbleibenden 500 intensiver kümmern. Wenn aber alle immer wieder im Verfahren bleiben und ein Ausgang aus dem Verfahren lediglich eine positive Asylanerkennung oder eine endlose Kette von Dauerduldungen nach sich zieht, wird die Überlastung in den Ausländerämtern weiterhin sehr massiv sein. Ich wäre froh gewesen, wenn wir nach diesem ominösen Brandbrief einmal konkreter gefragt worden wären, um sagen zu können, dass jedenfalls in dem angegebenen Ministerium der Brief jetzt erst vorliegt, nachdem ich ihn mir besorgt habe. Es wäre aber ebenfalls möglich gewesen, erst einmal zu überprüfen, wer den Brief geschrieben hat, wer für den Inhalt verantwortlich zeichnet etc. Denn selbst wenn es eine so vorsätzlich falsche Rechtsauskunft durch das Ministerium gegeben hätte, würde ich von jedem Beamten erwarten, dass er dann im beamtenrechtlichen Sinne remonstriert, das heißt deutlich macht, dass er niemals etwas umsetzen wird, was gesetzeswidrig ist. Dies halte ich nicht nur für das gute Recht, sondern sogar für die Pflicht eines jeden Beamten. Der Unterschied zu Diktaturen ist eben, dass man sich in einem Rechtsstaat falschen bzw. rechtswidrigen Anweisungen entziehen kann, ja entziehen muss. Aus solchen Perspektiven verweise ich drittens darauf, dass die größte Herausforderung für den Freistaat Thüringen aktuell in der Sorge besteht, dass uns zu wenig Menschen zur Verfügung stehen, um die Arbeit, die derzeit tagtäglich erledigt werden muss, auch in Zukunft noch erledigen zu können. Aus gutem Grund werde ich im Herbst wieder nach Vietnam fliegen und hoffe, dass wir die Anzahl an jungen Leuten aus Vietnam deutlich erhöhen können, die bei uns im Rahmen einer dualen Ausbildung ihre Berufsqualifikation erledigen und dann möglichst lange bei uns verbleiben.

Zuwanderung und auch technische Rationalisierung werdem die Zauberformeln sein, um die Wertschöpfung und den Wohlstand in unserem Land halten und ausbauen zu können.

Deshalb ist es ebenso wichtig, nicht nur auf gefühlte Stimmungen zu reagieren, sondern sich an überprüfbaren Fakten zu orientieren. In dem vorgestellten Thüringen-Monitor geht es um gefühltes Leben in Thüringen. Das Verhältnis Stadt-Land wurde kritisch untersucht und gefühlt ist die Demokratiezufriedenheit zurückgegangen. Positiv ist, dass die Anzahl an rechtsextremen Einstellungen nicht gewachsen ist. Das heißt, bei denen, die nicht nur mit der Demokratie unzufrieden sind, sondern sie gar ablehnen, die Zahlen offenbar stabil (, wenn auch bedenklich) sind.

Gestiegen ist das Unwohlsein und das Gefühl, möglicherweise abgehängt oder Verlierer zu sein. Dies ist für mich wiederum ein interessantes Phänomen, denn in der Corona-Zeit gab es das umgekehrte Gefühl, dass Menschen im ländlichen Raum eher froh waren, auf dem Dorf zu leben und sich die Städter lieber gerne vom – freilich nur sprichwörtlichen – Hals gehalten haben. Nun sind wir wieder bei dem Gefühl, dass auf dem Dorf nichts los sei. Tatsächlich aber spielen sich gerade viele spannende Prozesse besonders auch im ländlichen Raum ab. Der Zusammenhalt ist signifikant höher, die Nähe ist natürlich der Preis für Leben auf dem Dorf. Aber damit verbunden ist in der Regel auch ein höheres Maß an Aufmerksamkeit und Solidarität. Wenn ich schließlich an die vielen Betriebe, auch an die hochproduktiven Landwirtschaftsbetriebe, denke, so kann ich feststellen, dass es eine Unterscheidung zwischen West und Ost gibt. Viele Dörfer bei uns sind auch gesegnet mit hoch modernen Betrieben. Ob das die Heberndorfer Leistenfabrik ist, die MTM Plastics GmbH in Niedergebra oder die KHW in Geschwenda, alle auf ihre Art unglaublich leistungsfähig und in ihrem Segment Technologie- und/oder Marktführer.

Genauso gibt es im ländlichen Raum Kunstinstallationen oder kulturelle Aktivitäten, die man dem Dorf auf den ersten Blick auch nicht zutrauen würde. Stellvertretend seien genannt der Kunstspeicher der Eheleute Kühn am Kloster Mildenfurth oder die Theaterscheune in Stelzen, aber auch die Stiftung Judenbach in der Gemeinde Föritztal, in der man alles über Kinderspielzeug, aber ebenso über moderne Kunst auf einmal erfahren kann. Besondere Orte im ländlichen Raum, die das Gegenteil signalisieren von Abgehängtsein, die deutlich machen, das dort Großes und Besonderes passiert. Insoweit ist der gefühlte Befund des Thüringen-Monitors ein wichtiger Hinweis darauf, an was wir arbeiten müssen, damit wir kein Land der Befindlichkeiten sind und negative Gefühle nicht den Blick vor Zukunftsthemen verstellen. Wir brauchen mehr Mut- als Miesmacher und Thüringen muss sich zum Chancenland weiterentwickeln, denn schon jetzt hat Thüringen in den letzten 30 Jahren eine unglaublich erfolgreiche Entwicklung zurückgelegt. Deshalb an dieser Stelle nun eingebunden der Thüringen-Monitor zum aufmerksamen Selbststudium:

Thüringen-Monitor PDF-Datei (8,6 MB)