Was wir jetzt brauchen

In der letzten Nacht habe ich wenig geschlafen. Seit dem späten Abend trudelten die Berichte über den Gewaltausbruch in der Erstaufnahmeeinrichtung Suhl auf dem Telefon ein. Zunächst bin ich über das, was dort passiert ist, wie alle anderen auch schockiert. Danach aber stellt man sich schnell die Frage, was kurzfristig geschehen kann, um die Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen, und um diese geht es fast immer, zu entspannen. Immerhin ist Suhl Teil eines bundesweiten Trends. Überall in der Republik demonstrieren nicht nur rechte Hetzer vor den Heimen, und rechte Terroristen zünden sie an. Überall in der Republik häufen sich leider auch die Vorfälle in den Flüchtlingsheimen. Und das müssen wir auch als Ausdruck einer Überforderung der Zuständigen ernst nehmen.
 
Ich habe daher heute in einem Interview darauf hingewiesen, dass sich die Wiederholung von derlei Vorfällen wirksam nur dann verhindern ließe, wenn stärker als bisher darauf geachtet wird, dass wir Menschen verschiedener Ethnien zumindest dann nicht auf engstem Raum zusammen legen, wenn wir wissen, dass dann wahrscheinlich religiöse und kulturelle Konflikte aus den Kriegs- und Krisengebieten dieser Erde direkt in deutschen Flüchtlingsunterkünften ausgetragen werden. Dass daraus die jetzt überall zitierte Meldung wird, Ramelow wolle eine nach Ethnien getrennte Unterbringung von Flüchtlingen, gehört zur Logik der medialen Verarbeitung eines für sich schon dramatischen Geschehens. Dass ich für diese Sätze viel Kritik einstecken würde, wusste ich.

Meine Sichtweise ist die eines von 16 Landesregierungschefinnen und –chefs, die allesamt mit großer Sorge auf das schauen, was sich tagtäglich in den von den Ländern verantworteten Erstaufnahmestellen abspielt, und welches Szenario sich mit dem weiteren Anstieg der Zahl von Flüchtlingen im Herbst und Winter aufbaut. Wohl gemerkt, ich habe nur von der drei Monate währenden Erstaufnahmezeit gesprochen, in der wir den hierher kommenden Menschen zumuten, in einer Sammelunterkunft mit hunderten anderen Menschen zu leben. Dass wir für diese Zeit versuchen, alle möglichen Konflikte zu minimieren, hat nichts mit religiöser oder ethnischer Trennung zu tun, sondern mit dem pragmatischen Versuch, eine konkrete Krisensituation zu entspannen. Wir sind die Landesregierung, die für die Zeit danach am konsequentesten das Konzept der dezentralen Unterbringung vertritt. Wir wollen aus Flüchtlingen Neubürger machen. Wir brauchen ihren Fleiß und ihre Fähigkeiten. Wir wollen sie in Arbeit und Ausbildung bringen. Wir wollen, dass sie hier ein neues Leben beginnen, dass Thüringen für sie Heimat wird. Und wir formulieren ganz selbstverständlich: Integration heißt für uns religiöse Toleranz und gewaltfreies Zusammenleben. Das erwarten wir von allen, die hier leben. Gewalt in Deutschland kann und darf nicht geduldet werden. Es ist nicht zu tolerieren hier Selbstjustiz auszuüben, aber das Schüren von religiösem Hass ist genauso tabu!
 
Es gibt noch eine Reihe von weiteren Stellschrauben zur Entspannung der Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Die wichtigsten davon hat der Bund in der Hand. Stichwort Beschleunigung der Verfahren, was auch und vor allem im Interesse der Flüchtlinge ist, gerade wenn sie aus den Kriegsgebieten im Syrien und im Irak kommen. Die versprochene Aufstockung der Asylsachbearbeiter steht auf dem Papier. Passiert ist, wenn ich es einmal durch die Thüringer Brille betrachte, sehr wenig. Und in der Tat, wenn man sich ansieht, wie der öffentliche Dienst in den vergangenen Jahren ausgeblutet wurde, fragt man sich, wo auf die Schnelle tausende neue und ausgebildete Bearbeiterinnen und Bearbeiter herkommen sollen. Wäre es da nicht sinnvoll, das Asylsystem zu entlasten und für einige Gruppen einen schnelleren Spurwechsel zu ermöglichen. Wäre es nicht sinnvoll, denjenigen, die aus bspw. aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder Libyen kommen, aus Gegenden also, in die selbst Andi Scheuer niemand abschieben würde, ohne quälendes und langwieriges Asylverfahren einen Flüchtlingsstatus und Bleiberecht einzuräumen, damit sie aus den Heimen herauskommen und beginnen können, für sich und ihre Familien eine neue Zukunft aufzubauen? Wäre es nicht richtig, denjenigen, die aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens und Albanien zu uns kommen, das Angebot zu machen, aus dem Asylsystem heraus zu kommen, und ihnen Arbeitsvisa zu geben. Für viele von ihnen hätten wir Arbeit, auch in Thüringen. Wäre es nicht vielleicht sogar sinnvoll, dass der Bund künftig die Erstaufnahme von Flüchtlingen gänzlich in die eigene Verantwortung und Finanzierung übernimmt. Er ist ja auch für die Außenpolitik zuständig. Im Moment verfügen die Bundesländer über einen direkten Draht zu den Kriegs- und Krisengebieten dieser Erde. Wir merken recht unmittelbar, wenn und wo es auf dem Globus knallt, nämlich in den ausgerechnet von uns betriebenen Erstaufnahmeeinrichtungen. Da passen die Zuständigkeiten nicht zusammen.
 
Manchmal ist es so, dass andere den Schlüssel zur Lösung der eigenen Probleme in der Tasche haben. Ich hoffe, Herr de Maiziere packt ihn bald aus. Vielleicht hören wir ja auch bald mal eine substanzielle Äußerung der Kanzlerin zu diesem Thema, dass viele bewegt. Einstweilen machen wir in Thüringen unseren Job. Wir haben das Thüringer Erstaufnahmesystem Anfang 2015 mit knapp 500 Plätzen vorgefunden und es bis jetzt auf knapp 3.000 erhöht, ohne dass irgendwer länger als eine oder zwei Nächte in Zelten übernachten MUSS. Statt zwei gibt es jetzt fünf Einrichtungen. Die nächsten 1.000 Plätze sind in der Planung, eine Reserve von 1.000 Plätzen in der Hinterhand. Eine Task Force plant die Unterbringung stabsmäßig. Das ist unser Job, den kriegen wir auch erledigt, wenn wir es hinkriegen, dass Flüchtlingspolitik nicht zum parteipolitischen Kampffeld wird. Deswegen kommentieren wir auch nicht weiter, wenn der Landkreistag und seine Vorsitzende von der Landesregierung Maßnahmen fordern, die nur auf Bundesebene zu regeln sind. Die Vorsitzende des Landkreistags gehört ja der regierenden CDU an, da könnte sie sich eigentlich mit einigen ihrer Bundestagsabgeordneten zusammentun und über einen Sonderparteitag die Forderungen durchsetzen, die sie hier aufmacht. Wir wissen solche Äußerungen einzuordnen und bauen darauf, dass der übergroße Teil der kommunalen Verantwortungsträger über alle Parteigrenzen hinweg mit der Landesregierung an einem Strang zieht. Beispielhaft sei hier Landrat Dr. Werner Hennig (CDU) aus dem Eichsfeld erwähnt, dem ich für seine klaren Worte danken möchte.

Worauf wir angewiesen sind, ist die Mehrheit der Zivilgesellschaft, die noch viel zu leise ist. Die Mehrheit, die helfen will, wenn Menschen in Not sind. Die Mehrheit, die an jedem Ort schnell bürgerschaftliche Unterstützungsinitiativen für die ankommenden Flüchtlinge bildet. Die Mehrheit, die gastfreundlich ist und neu ankommende Menschen integrieren will. Bitte zeigt Euch! Bitte werdet lauter! Sonst bestimmt die laute Minderheit, deren Sprachrohre in der NPD und der AfD sitzen, manchmal leider auch in Parteien, die im Bundestag sitzen (was uns beschämen sollte), sonst bestimmt diese Minderheit die Politik.