Kirchentag in Weimar

Mein Tag beginnt mit einer ausführlichen Presseschau und ich stelle fest, dass die Kommentare zu meinem Vorschlag sehr unterschiedlich ausfallen. Während die TAZ fragt, ob mein Vorschlag vielleicht zu klug für Thüringen sei (bei so viel Lob werde ich fast noch roter als ich es so schon bin) und SPON über neue Wege und neue Konstellationen in der Thüringer Politik schreibt, ist bei der Zeitung mit den großen Buchstaben von irren Wendungen die Rede. Letzteres ist vielleicht damit erklärbar, dass sich die Zeitung bisher gar nicht die Mühe machte, über unsere Pläne einer Reformorientierten Landesregierung zu schreiben. Insgesamt entsteht bei mir der Eindruck, dass mit der gestrigen Meldung manchen Journalisten und auch manchen Politikern ihr Lieblingsspielzeug weggenommen wurde.
Später mache ich mich dann auf den Weg nach Weimar zum ersten mitteldeutschen Kirchentag, wo ich viele Freunde und Bekannte treffe. Unter ihnen sind auch Claudia Rühlemann und Wolfgang Musigmann – heute verantwortlich für den Kirchentag und vor 20 Jahren in der kirchlichen Friedensbewegung aktiv. Wir sprechen über ihren Mut, damals auf die Straße zu gehen und die Entwicklung bis zum heutigen Tag. Es sind beeindruckende Erinnerungen und für mich wird das Ganze noch deutlicher, als dann im Eröffnungsgottesdienst Original-Transparente von 1989 hereingetragen werden. Da steht „Reisefreiheit statt Massenflucht“, „Schwerter zu Pflugscharen“, „Bürger lasst das Glotzen sein, kommt herunter, reiht Euch ein“ und „Stasi in die Volkswirtschaft“. Die Vorstellung, wie viel Beherztheit und Courage es vor 20 Jahren brauchte, diese Transparente zu tragen, erzeugt bei mir eine Gänsehaut.
Beim Verlassen der Kirche sehe ich die Kerzen. Mit diesen Kerzen haben die Menschen vor 20 Jahren eine abgehobene Politbürokratie zur Kommunikation gezwungen. Angesichts dieser Erinnerungen ist mir verständlich, dass es noch nicht Normalität ist, wenn die erste Landesregierung, in der Die Linke stärkste Kraft ist, auch von einem Linken geführt wird. Es gibt Sorgen, die sich aus unserer Vergangenheit ergeben und wir werden diese Sorgen nicht überwinden, wenn wir einfach versuchen sie weg zu wischen. Bedingung für eine wirkliche Veränderung ist eine ehrliche Versöhnungsarbeit von allen Seiten. Dann kann man gemeinsam in die Zukunft gehen.
Auch mein Gespräch mit Pfarrer Rambow, den ich glücklicher Weise auch in Weimar treffe, dreht sich um diese Frage. Er sagt mir, dass die Reformorientierte Landesregierung in Thüringen auf den Weg gebracht werden muss und dass das nur geht, wenn es eine gemeinsame Aussprache über die Vergangenheit gibt. Das wollen wir angehen. Die Linke hat mit einem Beschluss des Landesvorstandes im März einen Schritt in diese Richtung gemacht. Nun müssen weitere gemeinsame Schritte folgen.