#NazissindNazis

Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm, hat heute unter dem Titel „Nazis muss man Nazis nennen“ einen Kommentar in der „Jüdischen Allgemeinen“ veröffentlicht, der mich dazu ermutigt, mit einer Woche Abstand einige grundsätzliche Gedanken zum Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs gegen mich darzulegen.
 
„Für Bürgerinnen und Bürger, für die Rechtstreue einen wesentlichen Wert darstellt, bildet die Legalität einer rechtsextremistischen Partei ein verstörendes, das Vertrauen in den Rechtsstaat beeinträchtigendes Phänomen. Die Legalität der NPD definiert einen symbolischen Ort des Zulässigen für die demokratische Auseinandersetzung, selbst dann, wenn die Partei im Einzelnen nicht rechtstreu handelt.“ Diese Sätze stammen aus jenem Abschnitt des Verbotsantrag des Bundesrats gegen die NPD, in dem die Länderkammer die Motivation ihres Verbotsantrags erklärt.

Wie hellsichtig sich diese Formulierung im Lichte des Weimarer Urteils vom 8. Juni 2016 liest. Dort wird dem Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen unter anderem attestiert, er habe in einem Interview mit dem MDR das „Recht“ der NPD „auf gleichberechtigte Teilhabe am politischen Meinungskampf“ verletzt. Der Verbotsantrag des Bundesrats stellt, auch mit der hochoffiziellen Unterstützung der damaligen Thüringer Landesregierung und meiner sehr geschätzten Vorgängerin im Amt, Christine Lieberknecht, genau dieses Recht für die NPD in Frage. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat nun der real existierenden NPD, solange sie legal existiert, einen Schutz an diesem „symbolischen Ort des Zulässigen“ eingeräumt. Damit haben die Weimarer Richter/innen einen eindrucksvollen Beleg für die Notwendigkeit eines schnellen Erfolgs des NPD-Verbotsverfahrens geliefert. Als Mensch bin ich zur Verfassungstreue und als Ministerpräsident zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet. Die Neutralitätspflicht des Staates findet ihre Grenzen dort, wo es um Organisationen geht, die nicht nur als erklärte Feinde der demokratischen Rechtsordnung auftreten, sondern durch aktives Handeln diese Rechtsordnung angreifen. Deshalb sehe ich es als meine Pflicht an, klar gegen eine Partei Stellung zu beziehen, die keinen Zweifel daran lässt, dass sie diese verfassungsmäßige Ordnung stürzen will. Ich bin gewählter Ministerpräsident eines kleinen Bundeslands und als solcher zweifellos eine Amtsperson. Neutral kann ich aber nur so lange sein, wie es nicht eine Organisation betrifft, die eine Rechtsordnung im Sinn hat, die mich (als Amtsperson) zur Exekution unmenschlicher Gesetze zwingen würde. Dagegen mache ich ein Widerstandsrecht geltend, und nicht erst dann, wenn es zu spät ist. Als unteilbarer Mensch Bodo Ramelow bleibe ich dabei: Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen.
 
Es ist richtig, dass ich heute vor einem Jahr, am 16. Juni 2015, in meinem Büro von einem Team des MDR interviewt wurde. Anlass des Interviews war die am Vortag im Eisenacher Stadtrat erfolgte Abstimmung eines Abwahlantrags der NPD gegen die Oberbürgermeisterin Katja Wolf, bei der auch Vertreterinnen und Vertreter demokratischer Parteien für den Antrag der rechtsextremen Partei stimmten. Ich habe damals an die demokratischen Parteien appelliert, dass sie keine gemeinsame Sache mit der NPD machen sollen. Ich habe diese Äußerung damals nicht zufällig mit dem laufenden NPD-Verbotsverfahren begründet, dessen Argumentation auf wackeligen Füßen stünde, wenn derlei gemeinsame Abstimmungen von NPD-Kadern und Abgeordneten demokratischen Parteien Schule machen würden. Natürlich kann man darüber streiten, ob eine Verlinkung auf externe Angebote auf den Social-Media-Kanälen der Thüringer Staatskanzlei eine amtliche Verlautbarung oder nicht viel mehr eine Information darstellt. Und ich bleibe dabei, dass es der Respekt vor dem Verfassungsgerichtshof gebietet, unsere Kommunikation als Staatskanzlei an den Anforderungen des Hofes auszurichten. Aber ich bin auch heute noch der Überzeugung, dass der Ministerpräsident eines Landes, das den Verbotsantrag unterstützt, dazu verpflichtet ist, diesen Verbotsantrag zu schützen. Wir werden sehen, ob meine damals geäußerte Befürchtung, dass die NPD genau diesen Vorgang im Karlsruher Verbotsverfahren gegen sie als Beleg für ihre parlamentarische Anschlussfähigkeit zu den demokratischen Parteien vorbringen wird, eintreffen wird. Gerechtfertigt war und ist sie allemal. Wir dürfen uns als Demokraten keinesfalls dem Vorwurf aussetzen, das zu tun, was die Juristen „Venire contra factum proprium“ nennen. Insofern bleibe ich dabei, Nazis auch Nazis zu nennen. Auch der Schwur von Buchenwald zählt zum Gründungskonsens dieser Republik.
 
Mit der Unterscheidung zwischen dem Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen und dem Privatmann Bodo Ramelow hat auch der Thüringer AfD-Chef so seine Probleme. Immerhin hat er der Thüringer Staatskanzlei ein Unterlassungsbegehren zustellen lassen, das meinen persönlichen Twitteraccount betrifft. Ich habe gleichwohl als Privatmann einen Anwalt mit der Wahrnehmung meiner Rechte beauftragt. Herr Höcke verlangt von mir, dass ich es unterlasse, einen Tweet der Berliner TAZ weiterzuverbreiten, in den ein Foto eingebunden ist, auf dem Herr Höcke den rechten Arm hebt. Anstoß wird vor allem am Hashtag #Hitlergruss genommen. Hashtags sind auf Twitter Steurungszeichen, mit denen Tweets in Kanälen gebündelt werden können. Der Hashtag #Hitlergruss gibt es dort seit 2008, also lange vor Herrn Höckes Entschluss Politiker zu werden.
 
Ganz besonders bewegt mich im Moment die Nachricht von der Ermordung der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox. Europaweit explodiert der Hass. Europaweit schüren Demagogen mit Lügen und Halbwahrheiten Angst unter den Menschen. Europaweit wird aus hasserfüllten Worten immer öfter nackte Gewalt. Die Momente, in denen wir eigentlich innehalten sollten, häufen sich. Heute ist so ein Moment. Wir trauern um Jo Cox. Und alle, die weiter das Privileg genießen wollen, in einer offenen Gesellschaft ihr Leben so leben zu können, wie sie wollen, haben nur eine Option: zusammenstehen und den Rücken gerade machen für unsere Art zu leben. Mehr Demokratie, mehr Freiheit, mehr Toleranz, das ist die richtige Antwort.