Nach der Wahl ist vor der Wahl

Der Tag beginnt mit einem Spaziergang samt Hund zum Bäcker, wo es neben Brötchen auch die wichtigsten Tageszeitungen gibt. In der TA werden die Wahlkreisprognosen von election.de veröffentlicht und auch wenn die Überschrift lediglich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU vermuten lässt, zeigen die einzelnen Zahlen, dass es vielerorts auch für uns sehr gute Chancen gibt. In einigen Wahlkreisen sind die Kandidaten der Linken nur ein oder zwei Prozent vom Direktmandat entfernt. Deshalb heißt es jetzt wahlkämpfen bis zum Schluss, denn Bundestagswahlkreise in Thüringen zu gewinnen wäre ein Riesenerfolg für Die Linke und ein wichtiges Signal, dass eine sozialere Politik im Land gewollt ist.

Dann haben wir eine Telefonkonferenz, um das weitere Vorgehen bei den Sondierungsgesprächen abzuklären. Von den Genossen aus Berlin hören wir, dass die anderen Parteien in der Hauptstadt immer lauter über eine deutliche Mehrwertsteuererhöhung nachdenken. Das muss verhindert werden, denn es kann nicht sein, dass die breite Masse für das Gezocke Einzelner bezahlen muss. Wir brauchen eine Vermögens- und eine Börsenumsatzsteuer und keine Mehrwertsteuererhöhung, die für die normale Bevölkerung alles teurer macht und damit die Kaufkraft insgesamt senkt. Auf diese Weise würde die Schere zwischen arm und reich weiter geöffnet – nicht mit uns!

Nach einem Abstecher in den Landtag fahre ich dann nach Schweinfurt zu einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit Klaus Ernst und Peter Sodann. Schon im Jahr 2005 habe ich Klaus versprochen, dass wir zusammen Wahlkampf machen werden und nun kann ich das Versprechen einlösen. Hunderte Zuhörer sind gekommen und wie mir berichtet wird, ist es die größte Wahlkampfveranstaltung aller Parteien in Schweinfurt. Auch hier in der fränkischen Nachbarschaft werde ich viel auf die Situation in Thüringen angesprochen. Die Leute freuen sich, dass der echte Politikwechsel in greifbarer Nähe ist und drücken die Daumen, dass die reformorientierte Landesregierung zu Stande kommt. Ein Ehepaar erzählt mir, dass sie vor 19 Jahren aus Suhl nach Schweinfurt gezogen sind und nun, da beide wegen der Wirtschaftskrise von Arbeitslosigkeit bedroht sind, ihre Rückkehr planen. Trotz der konkreten Sorge um ihren Arbeitsplatz glauben sie daran, dass ein Politikwechsel , hin zu einer Politik für die Menschen möglich ist. Auch da muss ich wieder daran denken, dass die Positionen der Erfurter Erklärung hoch aktuell sind.

Am späten Abend höre ich dann die Meldung, dass die Staatsanwaltschaft Anklage wegen schwerer Untreue gegen die Geschäftsführer der Erfurter Stadtwerke erhoben hat. Dabei geht es aber gar nicht um die umstrittenen Pensionszahlungen, die den „Stadtwerke-Skandal“ ausmachen sollen, sondern ein Fehler bei der Auszahlung der betrieblichen Altersvorsorge ist Auslöser für die Anklage. Daraus ist aber keinerlei Vermögensschaden für die Stadtwerke entstanden, sondern es war eine nie bestrittene falsche Berechnung, zu der die Originalverträge nach wie vor bei den Stadtwerken liegen. Deshalb halte ich es für mehr als angemessen, auch hier die Unschuldsvermutung gelten zu lassen, bis der zuständige Richter alle Unterlagen gesehen und sich selbst ein Bild gemacht hat.